Tag: orientalisch

Mein Weg nach Japan

Es sollte nur eine Weltreise werden …

Geboren und aufgewachsen bin ich am Wasser – in Kiel. Dies ist wahrscheinlich der Grund dafür, warum ich Heute immer noch am Wasser lebe, nur nicht mehr in Deutschland, sondern in einem kleinen “Hayama” genannten Ort in Japan. Etwa 1 Stunde Fahrt mit dem Zug von Tokio entfernt an der Pazifikküste. Was hat mich ausgerechnet dorthin verschlagen? Nun, dass ist gleichzeitig eine lange wie auch eine kurze Geschichte.


Wie es im Kindesalt er so ist, der jüngere Bruder (ich) macht dem älteren Bruder gern etwas nach. So ist es gekommen, dass ich kurz nachdem mein Bruder mit Judo angefangen hatte , diese Sportart auch unbedingt machen wollte. Zwei Jahre später passierte das gleiche mit Aikido. Nur stellte sich nach verhältnismäßig kurzer Zeit heraus, dass Aikido mir “vom Wesen her” wesentlich b esse r liegt als Judo. Kurz darauf habe ich Judo auf gegeben und mich ganz dem Aikido gewidmet und hier, wenn ich das selbst einmal so sagen darf, recht gute Fortschritte gemacht. Zwischenzeitlich hatte ich auch eine kurze Begegnung mit Kendo. Aber auch hier wieder lag mir dies vom Wesen her nicht. Bei Karate hatte ich diesen Eindruck schon vom bloßen Zusehen.
Wieder einige Jahre später, inzwischen hatte ich die Position eines Aikido “Trainers” inne, hat mir ein Schüler Tai Chi erst vorgeführt und später auch etwas vermittelt. Die Bewegungen des Tai Chi haben mir sofort zugesagt. Dieses Gefühl, dass mir manche Dinge, hier im Speziellen manche Sportarten, liegen und andere wiederum kein erlei Anreiz haben, hat schließlich zu einem schicksalhaften Ereignis und dieses wiederum hat mich später nach Japan geführt.
Mit 17 habe ich im Fernsehen einen Dokumentarbericht über Kampfkünste gesehen. Da war dann so ziemlich alles vertreten, was man so kennt: Judo, Karate, Aikido, Kendo , Tae Kwon Do, Kung Fu … und schließlich auch japanisches Bogenschießen = Kyudo. Dabei wird mit sehr langen, aus Bambus gefertigten Bögen auf ein etwa 30 m entferntes Ziel geschossen. Normalerweise stehen die Schützen dabei in einem “Dojo” (einer Übungshalle) auf einem Parkettfußboden und schießen über einen unter freiem Himmel liegenden Rasen auf das Ziel.
In der besagten Fernsehsendung jedoch stand der Bogenmeister auf einem Rasen und wurde von vorn gefilmt. Der Film zeigte den Meister, wie er da stand, den Bogen auszog und schließlich den Pfeil fliegen ließ – nicht jedoch das Ziel. Ob der geschossene Pfeil also getroffen hat oder nicht, wurde nicht gezeigt. Die gesamt Szene hat vielleicht nur zwei Minuten in Anspruch genommen.

Das war aber auch egal. Die Sendung hatte bereits ihre Wirkung getan!

Diese 2 Minuten Fernsehen haben in meinem Kopf eine Art Funken gezündet. Wie vom “Schlag getroffen” hatte ich den Eindruck, DAS ist etwas, was ich machen will/muß.

Daraufhin habe ich mich bemüht herauszufinden, ob es irgendwo in der Nähe Dojo s gibt, in denen ich Kyudo lernen könnte und damals zwei solche Dojos gefunden. Eines in Hamburg und eines in Paris. Beide wurden aber von Europäern geleitet. Da ich aber noch jung und idea listisch war, wollte ich natürlich von einem “richtigen” Meister lernen und nicht einem europäischen Schüler. Unweigerliche Schlussfolgerung: ich muß nach Japan!
Fünf Jahre später, nach Abitur, Zivildienst und einer gewissen Zeit Aushilfsarbeit um Geld zu verdienen, habe ich dann die meisten meiner damaligen Besitztümer verkauft/verschenkt, einen Rucksack gepackt, mir Reisechecks von den etwa 10.000 DM, die das Ergebnis von fünf Jahre Sparen, Verkauf meiner Sachen und der Arbeit im Bauwarenlager waren, ausstellen lassen und mich – natürlich gegen den Willen meiner Eltern – mit einem Einfachfahrschein für die Transsibirische Eisenbahn auf den Weg gemacht. Eine Reise, die angefangen vom Trampen nach Berlin, Zug nach Moskau, transsibirische Eisenbahn nach Wladivostok und von dort mit dem Schiff nach Yokohama insgesamt 2 Wochen gedauert hat. Zweifel an mein em Entschluss nach Japan zu fahren und der Durchführbarkeit mein er Pläne hatte ich während der 5 Jahre von der Fernsehsendung (mit 17) bis zu meiner tatsächlichen Abreise (mit 22) nie!


Ursprünglich hatte ich geplant, erst nach Japan zu fahren, um dort für ein halbes Jahr Bogenschießen zu ma chen. Anschließend wollte ich ein wenig durch (Südost) Asien reisen, mir dann ein Segelboot kaufen und über Australien nach San Franscisco segeln, um mich etwa 1 Jahr nach meiner Abreise mit einem Bekannten aus Deutschland treffen und von dort wieder nach Hause fahren. Soweit die Theorie.

Einmal in Japan an gekommen, stellte ich fest, dass es gar nicht so einfach ist, ein Dojo zu finden. Und schon gar nicht eines, welches meinem aus Büchern und Wunschvorstellungen abgeleiteten Ideal entspräche. Durch Vorstellung bin ich dann auf zwei andere Deutsche gestoßen, die für mich gedolmetscht haben, als ich einen buddhistischen Priester namens “Koun Suhara” aufsuchte, um ihn um seinen Rat zu fragen.

Die Antwort war natürlich eindeutig: Wenn du kein Japanisch kannst, wird wohl kaum ein Lehrer willens/fähig sein, dir etwas beizubringen. Und von den grauhaarigen Meistern kannst du nicht erwarten, dass sie deinetwegen Englisch oder Deutsch lernen. Verbringe also erst einmal 1-2 Jahre damit Japanisch zu lernen und komm dann wieder.

Von Priester Suhara fasziniert und angeregt habe ich mich daraufhin entschlossen, mein Touristenvisum in ein Studentenvisum umzuändern und zu bleiben – Dauer unbekannt.


Auch wenn die Änderung meines Visums einige Schwierigkeiten bereitet hat, habe ich die folgenden 2 Jahre wirklich genossen. Mehrfach wöchentlich Kyudo Übungen (allerdings nicht in dem oben genannten Temple), Teezeremonie Übungen, tägliche Tai Chi Übungen auf einer die Sagami Bucht überblickenden Bergspitze …

Während dieser Zeit habe ich natürlich auch ei nige Japaner kennen gelernt. Darunter einige gute Freunde, mit denen ich Heute noch Kontakt habe – und natürlich meine Frau. Die Beziehungen zu Japanern haben sicher viel zu meinen Japanischstudien beigetragen – mit Hindernissen !

Zu Problemen kommt es nämlich, wenn man als Ausländer hierzulande annimmt, dass die Japaner “richtiges” Japanisch = Hochjapanisch sprechen. Von den männlichen Bekannten habe ich mir unwissentlich ein nicht so sehr wünschenswertes, umgangssprachliches Vokabular angeeignet, dass man wenn überhaupt erst dann gebrauchen sollte, wenn man wirklich mit der Sprache vertraut ist. Von meiner Frau und anderen weiblichen Sprachschülern habe ich auch viel gelernt. Nur wusste ich damals noch nicht, dass es hierzulande eine “Frauensprache” und eine “Männersprache” gibt. Und wenn man als Mann Frauensprache verwendet, fällt man sehr unangenehm auf.
Da ich Deutschland nach Abitur und Zivildienst verlassen habe, ohne eine Universität besucht oder einen Beruf erlernt zu haben, musste ich mir auch irgendwann einmal Gedanken machen, wie ich in der Zukunft meinen Lebensunterhalt verdienen möchte. Hier kam mein Interesse an der orientalischen Philosophie und Kultur zum Tragen als ich mir sagte, eine Ausbildung in Akupressur würde mir erlauben, private und berufliche Interessen miteinander zu verbinden. Der Umstand, dass es auf der ganzen Welt immer und überall kranke Menschen gibt, würde mir einer gesicherte Existenzgrundlage bieten – so dachte ich mir.

Wir waren auch einmal jung

Nun, ich war jung und unerfahren. Inzwischen weiss ich, dass dies SO einfach nicht ist. Wie dem aber auch sein mag, im Sinne einer Ausweitung meiner zukünftigen beruflichen Möglichkeiten habe ich meine ursprünglichen Pläne geändert und bin an eine Schule gegangen, wo man außer Akupressur (Shiatsu) auch Akupunktur, Moxibustion und orientalische Massage lernt. Die 3-jährige Ausbildung wird mit dem Staatsexamen beendet, welches dem Inhaber erlaubt, eine eigene Praxis zu eröffnen.

Ich zog es jedoch vor, zunächst für eine Weile (vier Jahre) an einem großen Krankenhaus mit einer “Forschungsabteilung für orientalische Medizin” praktische Erfahrungen zu sammeln.

Dies brachte es mit sich, das ich jeden Morgen um sieben mit dem Zug nach Tokio gefahren und erst abends zwischen 9 und 10 wieder nach Hause gekommen bin. Sechs Tage in der Woche. Damit fielen dann all die netten Praktiken wie Bogenschießen, Teezeremonie und dergleichen aus.

Dafür hatte ich im Krankenhaus aber reichlich Gelegenheit, Dinge zu lernen, die ich anderswo wohl nicht gelernt hätte. Als deutscher Akupunkteur in einem japanischen Krankenhaus, nicht nur einmal auf Besuch, sondern angestellt: damit war ich eine exotische Erscheinung. Ein Umstand, der oft aber auch sehr zu meinem Vorteil beigetragen hat.

Ich esse das Mittagspacket, das meine Frau für mich gemacht hat

Nach dem Krankenhaus habe ich eine Weile nur Übersetzungen gemacht und schließlich 1995 meine eigene SEHR kleine Praxis auf gemacht. Und das ist, was ich auch Heute noch mache: Akupunktur, was ich (anmaßender Weise) als meinen wirklichen Beruf = von Berufung betrachte, und Übersetzungen, mit denen ich den Lebensunterhalt für meine 6-köpfige Familie verdiene. Auch Heute falle ich in der japanischen Akupunkturgemeinde noch auf: ein deutscher Akupunkteur, der eine eigene Praxis leitet. Meines Wissens nach gibt es nur SEHR wenige Akupunkturpraxen in Japan, die von WESTLICHEN Ausländern geleitet werden. Wenn ein Chinese, ist in Japan ebenfalls Ausländer, hierzulande Akupunktur macht, fällt er/sie damit eigentlich nicht besonders auf.
So ist es gekommen, dass aus einer für 1 Jahr geplanten Weltreise ein permanenter Aufenthalt in Japan geworden ist. Hier habe ich eine japanische Frau, mit der ich schon unsere silberne Hochzeit gefeiert habe, und vier inzwischen recht große Kinder. Gerade auch im Hinblick auf meinen Beruf als Akupunkteur versuche ich seit einiger Zeit, wenn entsprechende Anfragen kommen, Ausländern bei deren Suche nach Möglichkeiten, orientalische Medizin in Japan zu lernen, behilflich zu sein. Auf Grund der hier nur gestreiften Schwierigkeiten, die ich selbst anfangs hier hatte, fühle ich mich manchmal zu diesen Bemühungen verpflichtet, auch wenn dies bei meinen japanischen Kollegen durchaus nicht immer auf Wohlwollen stößt.

Neujahr 2016

Das Bild rechts zeigt meine Familie zu Neujahr 2016 versammelt.

Mit freundlichen Grüßen aus dem Land der aufgehenden Sonne.

Thomas Blasejewicz

** Dieser Artikel ist auch auf einer HP in Deutschland, die sich mit japanischer Kultur beschäftigt, veröffentlicht worden:
http://www.japan-access.de/japanische-kultur/artikel/akupunktur-in-japan.htm
und soll demnächst auch in einem kleinen Fachblatt für Karate (den Artikel habe ich irgendwo eingescannt, kann ihn jetzt aber nicht finden) veröffentlicht werden.
Irgendwie – ich selbst kann dass nicht so recht nachvollziehen – finden mache Leute meine Geschichte “aufregend”.

Akupunktur – Tradition im Ausverkauf …

Akupunktur hat in Japan inzwischen eine etwa 1500-jährige Tradition. Gemeinsam mit der Kampo genannten “chinesischen Medizin” (zum Einnehmen) wie sie in Japan verwendet wird und sich somit von der “chinesischen Medizin” in China unterscheidet, bildeten diese Formen der orientalischen Medizin, wiederum natürlich in Verbindung mit den verschiedensten Formen der Volksmedizin, für 1350 Jahre die Hauptströmung der medizinischen Versorgung in Japan. Es gab ja nichts anderes. Die “westliche Medizin” ist hierzulande erst seit ca. 150 Jahren verfügbar und wurde von den zuständigen Regierungsbehörden über den besagten Zeitraum als “einzig wahre Medizin” verbreitet. 
Zwischenzeitlich gab es ja auch bekannterweise offizielle (von Regierungsseite) Versuche, die orientalische Medizin vollständig abzuschaffen / verbieten.

Wie dem auch sei, jedenfalls handelt es sich hier um richtig “gediegenes” Handwerk mit der besagten 1500-jährigen Tradition. Diese Form der medizinischen Versorung hat sich über 1500 Jahre wieder und immer wieder bewährt und als wirksam erwiesen (das ist übrigens auch das Thema meiner Klinik).
Daher sollte es heutzutage eigentlich überhaupt nicht erforderlich sein, für diese Behandlungsform Werbung zu machen.
Dachte ich.

Weit gefehlt.
Sogenannte “orientalische Medizin” – wobei ich dabei häufig nicht weiss, wovon überhaupt geredet wird – ist im Moment gerade große Mode. Das heißt, es gibt unzählige Leute, die eine Lizenz erwerben und dann exotische, neuartige Therapieformen praktizieren. 
Während Akupunktur fast immer vollständig vom Patienten getragen werden muss, können sich Kliniken zum Knocheneinrichten (Sekkotsuin = Chiropraktikklinik; oder Seikotsuin = Osteopathieklinik) auf ihr Schild schreiben, dass darin ALLE Arten von Versicherung akzeptiert werden. Folglich gehen die meisten Patienten Heute zu den Sekkotsuin, wo sie für eine Behandlung ca. 5 Euro zahlen und nicht zum Akupunkteur, wo die Behandlung 40 Euro kostet. 

Diese Sekkotsuin laufen entsprechend gut, so dass sie buchstäblich wie die Pilze aus dem Boden schießen. Rund um meine Praxis herum natürlich aus. Traditionelle Verhaltensweisen, wie sich vor Eröffnung einer solchen Klinik bei den bereits laufenden Kliniken vorzustellen, sind inzwischen VÖLLIG ausgestorben. Ich habe das bei Eröffnung meiner Klinik damals noch gemacht …

Massenweise “Billigware” als Konkurrenz führt dann (natürlich) dazu, dass meine Klinik immer schlechter läuft. Auch wenn ich mich noch NIE darum bemüht habe, hier “Geld zu machen*”, stört mich dies dann doch. 
* (http://www.einklang.com/Kanpo2003.htm) (auf Japanisch)

Vor kurzem habe ich einmal versucht, mich nach eine Teilzeitbeschäftigung als Akupunkteur hier in Japan umzusehen. Akupunkturkliniken, die nach Personal suchen, habe ich eigentlich noch nie gesehen. Immer nur die besagten Kliniken zum Knocheneinrichten, oder aber Orthopädiekliniken, die irgendwo einen sogenannten Rehabilitationsraum mit haufenweise Maschinen/Geräten haben, durch den vormittags etwa 100 “Patienten” geschleust werden müssen, damit es sich bezahlt macht. (Das haben mir die Leute in diesen Kliniken selbst gesagt.) Die Aufgabe des Akupunkteurs besteht dann darin, die Leute an irgendeine dieser Maschinen anzuschließen, den Zeitschalter auf 10 Minuten einzustellen und danach die Leute wieder freizusetzen.
Bei meinen kürzlichen Versuchen zeigte sich, dass die Bezahlung für Personen mit einer Akupunkturlizenz bei etwa 900-1000 Yen/Stunde (ca. 9-10 Euro) liegt. Das ist die gleiche Bezahlung, die absolut ungelerntes Personal im “Convenience Store” oder an der Tankstelle bekommen. 
30 Jahre Übung, Studieren, klinische Praxis sind also buchstäblich ***NICHTS*** wert. Denn Leute, die überhaupt nicht studiert und/oder gar keinen Beruf erlernt haben, bekommen das gleiche! Dann frage ich mich, wozu die 30 Jahre Bemühungen den eigentlich gut waren. Und darauf folgt auch wieder die Frage: Warum soll ich diese Arbeit überhaupt machen?

Aus Stellenanzeigen ist ersichtlich, dass Krankenpfleger in der Regel offenbar 1500-2000 Yen/Stunde erhalten und auch ein gewöhnlicher Zimmermann verdient mindestens so viel wenn nicht mehr. 

Hierzu gibt es nun sicherlich zahlreiche Ansichten, Denkansätze etc. aber ich persönlich habe zunächst einmal den Eindruck, dass hier ein äußerst fundiertes Handwerk mit 1500 Jahre Tradition einfach nur für Dumm verkauft wird – im Ausverkauf als Ramsch auf dem Grabbeltisch angeboten.

Irgendwann werden die Leute = Patienten aber unter Umständen merken, dass die Billigware nicht unbedingt immer von der besten Qualität ist …..